Die Lebensschule

Im 21. Jahrhundert wird eine gute Bildung hoch angesehen. Dabei eignen wir uns Wissen in verschiedenen Fachbereichen an und unser Geist versucht die Komplexität des Seins ansatzweise zu erfassen. Die Schulzeit beeinflusst jedoch die wenigsten in einem solchen Mass, dass man von einer strukturellen Veränderung der Persönlichkeit sprechen kann. Um eine solche Entwicklung anzustossen, bedarf es einer Ausbildung, welche uns nicht nur unsere physischen und psychischen Grenzen aufzeigt (und erweitert), sondern auch die Bedeutung von Werten und Tugenden darlegt, welche heute schon lange nicht mehr selbstverständlich erscheinen.

Die Ausbildung zum Offizier macht aus uns jungen, zukünftigen Führungspersonen, erwachsene und verantwortungsbewusste Mitglieder der Gesellschaft, die bereit sind, mehr für ihr Vaterland zu leisten. Ein Schweizer Offizier steht für Pflichtbewusstsein, Kameradschaft, Loyalität, Respekt, Rücksichtsnahme, Uneigentnützigkeit, Mut und Ehre. Unsere Aufgabe ist es, diesen Werten Leben einzuhauchen und sich dessen täglich bewusst zu sein, denn, einmal angetreten, bekleidet man dieses Ehrenamt sein Leben lang.

Diese Charaktereigenschaften werden auf fast künstlerische Art und Weise in unser Wesen eingemeisselt. Wie sich der Mensch durch seinen Verstand vom Tier unterscheidet, so hebt dieser Ausbildungsprozess den Aspiranten aus der Masse der egozentrisch orientierten, postmodernen Menschen hervor. Im Verlaufe der Offiziersschule verändert sich die Einstellung zur sozialen Umwelt und uns wird die Möglichkeit zu Eigen, uns aus der selbstverschuldeten „Unmündigkeit“ zu befreien. In einem schleichenden, aber stetigen Prozess nimmt der zukünftige Offizier Abstand zum Geschehen und wird zum absoluten Beobachter, der nördlich des Nordpols steht. Nur in Extremsituationen kann der Mensch über sich hinauswachsen und erkennt, dass der Wille der Schlüssel ist. Grenzen werden so zu vernachlässigbaren Hindernissen. Die erworbenen Fertigkeiten ermöglichen es den Aspiranten, jedem Tag tugendhaft mit einem Lächeln im Mundwinkel zu begegnen. Wir wachsen mit jedem Problem, mit jeder Entscheidung, die wir treffen, mit jeder Erfahrung, die wir machen, und verändern uns. Das Erlebte bildet einen grossen Fundus an Erinnerungen und so weicht Egoismus der Kameradschaft, da eine Kette nur so stark wie ihr schwächstes Glied ist. Vertrauen, Respekt, Freundschaft und Brüderlichkeit verbinden Offiziere in einem heut zu Tage selten gewordenen Masse. Es geht dabei nicht nur um die Ausbildung, sondern auch um die Erziehung und Werte, die uns während der Dienstzeit zuteil werden.

Lebensschule 2

Die Eigenschaften einer militärischen Führungsperson werden sowohl in der Wirtschaft, als auch in der Gesellschaft geschätzt. Dennoch werden diese Tugenden nicht mit einem modernen Offizier assoziiert, da man sich nicht bewusst ist, was es heisst, eine solche Ausbildung zu absolvieren.

Mit dem Wandel der sozialen Welt nahmen die Präsenz sowie die Bedeutung des Militärs im öffentlichen Leben ab. Die Beweggründe einer jungen Person, die sich für die Offiziersschule entscheidet, können von einem aussenstehenden Beobachter kaum nachempfunden beziehungsweise verstanden werden.

Dies führt dazu, dass sich nur wenige zu diesem Entschluss bekennen und solche, die sich unschlüssig sind, ganz davon ablassen. Doch nicht des Ansehens, Ruhmes oder Geldes Willen nehmen wir die Strapazen auf uns, sondern ‚non scolae, sed vitae discimus’ (nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir).