Klassenübungen

Ein Überblick über die Klassenübungen unserer Offiziersschule von A wie Anlernstufe, über F wie Forelle im Toilettenpapier und S wie sehr wenig Schlaf, bis Z wie Zürcher Seebecken auf zwei Rädern; aufgrund ihrer körperlichen und emotionalen Intensität mitunter die bleibendsten Erinnerungen an unsere Offiziersschule.

Grosse Erwartungen und Anspannung lösten sie in uns aus, geliebt haben wir sie selten, trotzdem
werden sie uns noch sehr lange in Erinnerung bleiben: unsere Klassenübungen. Eines hatten sie alle gemeinsam: Sie begannen jeweils damit, dass wir bereits Tage zuvor unsere Packung komplett vorbereiten mussten – unwissend ob die Klassenübung mal wieder (mehr oder weniger) überraschend etwas früher, vorzugsweise mitten in der Nacht, beginnen würde.

Von Bülach nach Eglisau und zurück – Mitten durch die Hölle

Die erste Klassenübung fand bereits am Donnerstag der ersten Woche statt. Sie begann damit, dass uns am Vormittag einige unserer Kameraden Kenntnisse in der Bedienung der verschiedenen Funkgeräte vermittelten. Obwohl die meisten von uns diese bereits früher in der militärischen Ausbildung einmal gelernt hatten, kam uns diese Auffrischung gelegen – wie schnell verirrt man sich doch in den endlosen Funktionsmenüs eines SE-235 Funksystems.

Nachdem wir das Mittagessen zu unserer eigenen Überraschung noch in der Kaserne Bülach eingenommen hatten, begaben wir uns in Gruppen von fünf bis sechs Aspiranten mit dem Zug nach Eglisau. Wir schleppten unseren kompletten Kampfrucksack, die Grundtrageinheit, Sturmgewehr sowie Pistole und unseren Schlafsack mit, des weiteren mussten wir je Gruppe auch noch eine Sanitätsbahre und ein (dank der Ersatzakkus mächtig schweres) Funkgerät des Typs SE–235 mitschleppen. Dass wir den Zug mit komplett getarnten Gesichtern betraten, trug sein Übriges dazu bei, dass wir vom einen oder anderen Fahrgast mit grosser Verwunderung gemustert wurden.

Kl U 2

In Eglisau angekommen, erhielten wir die Zielkoordinaten (Höriberg, nahe Bülach), die wir mit dem kompletten Gepäck anlaufen sollten. Um das ganze etwas „interessanter“ zu gestalten, erhielten wir zusätzlich die Koordinaten von elf Kontrollpunkten, von welchen wir deren fünf passieren mussten. Während sich einige Gruppen lange Zeit liessen, um die Route auf der Karte sorgfältig zu planen und sich so unnötige Mühen zu ersparen, marschierten andere sehr rasch los, um früher anzukommen. Das Gepäck drückte schwer und es herrschten, bei strahlend blauem Himmel und viel Sonne, höllische Temperaturen über 30 Grad Celsius. Dieser Umstand ersparte uns vermutlich in Teilen des Chemiewaffen-Schutzanzuges marschieren zu müssen, wie dies einigen unserer Vorgänger gegönnt war. Doch halt: Nachdem wir uns am späteren Abend mühsam bis wenige Kilometer vor das Ziel gekämpft hatten und die Temperaturen etwas gesunken waren, kam per Funk doch noch die Anweisung des Kaders, den ABC Bereitschaftsgrad2 (Teilschutz vor Chemiewaffen) zu erstellen. Kurz vor dem Ziel hatten wir noch das Vergnügen, uns in den ABC BG 4 (Chemiewaffen-Vollschutz) zu stürzen, was leider auch das Tragen der Schutzmaske beinhaltet. So kämpften wir uns schwer atmend bis ins Ziel, wo wir uns aber noch nicht hinlegen durften. Wir mussten zunächst noch eine Lektion über den Aufbau eines mustergültigen militärischen Biwaks über uns ergehen lassen und schliesslich ein solches erstellen. Da dies sehr lange dauerte, wir noch selbst kochen mussten und das Biwak ständig bewacht werden musste, schliefendie meisten von uns nicht viel länger als eine Stunde. Dementsprechend harzend liefen am Morgen auch der Abbau und der Rückweg in die Kaserne.

Böses Erwachen

Nur gerade gute zwei Stunden nachdem wir am Sonntagabend der zweiten Woche eingerückt waren und uns ins Bett gelegt hatten, begann die zweite Klassenübung. Wir wurden mit dem Alarm „GRANAT“ aus dem Schlaf gerissen. Den Rest der Nacht sowie den ganzen Montagvormittag verbrachten wir mit einer technischen Einsatzübung. Wir mussten in Gruppen im Raum Freiamt ein Netz aus mehreren RichtstrahlgerätenR-905 (gerichteter Funk) erstellen. Dabei waren wir unterschiedlich erfolgreich, was am abweichenden Wissensstand gelegen haben könnte.

Am Nachmittag begaben wir uns mit den Fahrrädern in die Kurzdistanz-Schiessanlage nahe Kloten, um unsere Fertigkeiten am Sturmgewehr etwas zu verbessern. Nach dem Schiessen erhielten wir neue Koordinaten,welche wir mit dem Fahrrad anfahren sollten. Als wir diese auf der Karte eingezeichnet hatten, dachten wir zunächst an einen Irrtum unsererseits – mehrfacheÜberprüfung hat dann aber ergeben, dass uns dieser „Fahrradausflug“ tatsächlich quer durch das halbe Zürcher Seebecken führen würde. Zwei platte Reifen verzögerten dieses Unterfangen zusätzlich, so dass wir schliesslich wieder einmal erst am späten Abend unser Ziel erreichten. Dort durften wir endlich unsere wichtigsten Grundbedürfnisse stillen, indem wir zunächst ein leckeres Barbecue am Feuer verbringen und uns schliesslich direkt in die Schlafsäcke legen durften. Einige von uns hatten den Schlaf offensichtlich dermassen nötig, dass die Wache während der Nacht nicht funktionierte.

Beiss ins Gras

Die dritte Klassenübung durften wir am Mittwoch der vierten Woche wieder ausgeruht in Angriff
nehmen. Nach einem normalen Arbeitstag begaben wir uns gegen 17.00 Uhr, wie immer voll bepackt und komplett getarnt, mit den Fahrrädern an die Thur. Leider war die Route vorgegeben, so dass wir einen Umweg über mehrere Hügel machen mussten.

Kl U 3

An der Thur angekommen, genossen wir zunächst eine Ausbildung über die Handhabung des militärischen Schlauchbootes M6, welche von einem Aspiranten gehalten wurde. Die Tatsache, dass dieses Schlauchboot bis zu zweieinhalb Tonnen Nutzlast transportieren kann, versetzte einige Aspiranten doch etwas in Erstaunen.So wuchsen dann auch die Erwartungen andie bevorstehende Schlauchbootfahrt. Die Anmerkung unseres stellvertretenden Kommandanten, dass die sich im Zubehör des Bootes befindenden kleinen Holzkegel zum Abdichten von Schusslöchern im Boot dienen, wurde von den meisten von uns mit schrägen Köpfen aufgenommen. Da die Chancen jedoch recht gering waren,dass wir diese würden einsetzen müssen, machten wir uns keine weiteren Gedanken darüber. An die anschliessende Fahrt mit zwei Schlauchbooten flussabwärts erinnern sich viele von uns mit einem stillen Lächeln, wofür einige Ereignisse während der Überfahrt verantwortlich sind. So klappte die Kommunikation auf dem vorderen Boot nicht besonders gut, was zu unzähligen ungewollten Manövern wie Pirouettenund wiederholtem „Anlegen“ am Ufer führte (was sehr komisch aussah). Unser stellvertretender Kommandant befand sich übrigens auch auf diesem Boot und scheint sich nicht schlecht amüsiert zu haben. Er habe sich, nach eigenen Angaben, sogar überlegt „das Boot zu verlassen und zu Fuss zu gehen, um das Ziel etwas schneller zu erreichen“. Auch unser Kader sorgte für einige Lacher:
Als der Kommandant (Kdt), der sich irgendwo an Land befand, via Funk von unserem stellvertretenden Kommandanten (Kdt Stv) unseren Standort wissen wollte, ergab sich folgendes Gespräch:

Kdt: „Wo befindet ihr euch? Antworten!“ Kdt Stv: „Verstanden! Generalstäbliche Antwort: Auf dem Rhein.
Antworten!“ Kdt: „Verstanden! Typisch: Kurz – prägnant – unbrauchbar! Schluss!“

Kl U 4

Nach dem Bootsausflug wurden wir in abgedunkelten Fahrzeugen in kleinen Gruppen an verschiedene Orte gebracht, von wo aus wir zu einem Biwakplatz marschieren sollten. Nachdem wir bereits die Hälfte des letzten Hügels erklommen hatten, wurde uns per Funk mitgeteilt, dass sich die Koordinaten geändert hatten. Grummelnd stiegen wir den Hügel wieder hinab und nahmen den langen und mühsamen Weg ins endgültige Biwak unter die Füsse. Dieser beschwerliche Marsch liess uns übrigens zu der Vermutung kommen, dass der Name der Übung, die „BIG“ hiess, lediglich eine Abkürzung
für „Beiss ins Gras“ war. Nachdem wir am Biwak angekommen waren, lagen Forellen bereit, welche wir in nasses Toilettenpapier gewickelt ins Feuer legten. Gross war das Erstaunen über diese Zubereitungsart, noch grösser das Erstaunen über den schmackhaften Fisch.

Nach einer Nacht, die länger als erwartet ausgefallen war, begaben wir uns zu Fuss zurück in die Kaserne.

Bülach-Triathlon

Kl U 5

Die vierte und letzte Klassenübung ähnelte stark der zweiten: am Vormittag wurden wir zu Fuss und mit dem Fahrrad in der Region Bülach herumgescheucht,worauf wir beim Schwimmbad Bülach landeten und diesen kleinen Triathlon mit einer Schwimmeinlage von 1000 Metern komplettieren konnten. Am Nachmittag begaben wir uns erneut mit den Richtstrahlgeräten auf eine technische Einsatzübung, welche reibungslos, jedoch auch nahezu unspektakulär verlief. Einzig die Tatsache, dass das Nachtessen aufgrund eines Fehlers der Übungsleitung viel zu spät eintraf (man munkelt, dass sich einige Aspiranten mit Grillfleisch aus einem Tankstellenshop beholfen haben sollen …) brachte etwas Spannung. Die Übung war am nächsten Morgen genau so schnell und unspektakulär wieder vorbei.

Obwohl oder gerade weil wir auf allen vier Klassenübungen viele Hochs und Tiefs gemeinsam durchmachen mussten, werden sie uns wohl sehr lange in Erinnerung bleiben.